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30.05.2023

Das Aktuelle Medieninterview – Chancen für das freie Wort?

15.12.2022
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Andrea Domin
Eine seltene, sehr bemerkenswerte Berufslaufbahn: Prof. Dr. Michael Steinbrecher mit dem Studium der Journalistik und Promotion mit der Doktorarbeit über TV-Programm-Gestaltung bei den Olympischen Spielen, Fußballer bei Borussia Dortmund, später Westfalia Herne, kennt den erfolgreichen Fußballsport aus eigener langjähriger Praxis.
Seit 2009 lehrt er als Professor an der Technischen Universität Dortmund den Bereich Fernseh- und Crossmedialen Journalismus. Gleichzeitig fungiert er als Sendeleiter für den landesweiten TV-Lernsender nrwision.
21 Jahre Moderator des „Aktuellen Sportstudios“ im ZDF. Eine Marke, die er am Gipfel seiner ZDF-Karriere im Aufbruch zu neuen Aufgaben verlassen hat.
Seit 2015  moderiert Prof. Dr. Steinbrecher das „Nachtcafé“, die außerordentliche SWR-Qualitäts-Talk-Runde. Der engagierte Medien-Profi und Journalist mit Herzblut hat viele Auszeichnungen erhalten, u.a. für sein Buch „Update - Warum die Daten-Revolution uns alle betrifft“. Sein neues Buch „Der Kampf um die Würde“ beschreibt Lebens-Szenen. Und damit Momente aus dem wahren Leben. Was können wir vom wahren Leben lernen?

PreMedia:
Lieber Herr Prof. Dr. Steinbrecher: In den letzten Jahren sind Sie im TV vor allem für Ihre Moderation der erfolgreichen SWR-Talkshow Nachtcafé bekannt. Wie kam es zu Ihrer Wandlung vom Sportjournalisten zum Talkshow-Moderator? Vermissen Sie die Sportmoderation manchmal?

Dr. Steinbrecher:
Hr. Malik, zunächst einmal: Schön, dass wir uns wieder treffen. Zu Ihrer Frage: Ich habe so viele besondere Momente als Sport-Journalist beim ZDF erleben dürfen. Die Moderation des „Aktuellen Sportstudios“, aber auch die Berichterstattung von Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Aber ich glaube, ich habe auch den richtigen Zeitpunkt für meinen Abschied gewählt. Diese Entscheidung kam ja für alle überraschend, aber ich hatte mich vorher intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher hat einmal gesagt „Ein guter Abschied ist dann, wenn noch viele Menschen sagen: Schade.“ Warum also nicht gehen, wenn es am schönsten ist?  
Ein halbes Jahr später kam das „Nachtcafé“ des SWR auf mich zu. Ich war damals schon über 4 Jahre Journalistik-Professor an der TU Dortmund. Bis heute erfüllt mich meine Arbeit dort in Forschung und Lehre sehr. Aber zum Nachtcafé hatte ich schon lange eine besondere Beziehung. Bereits vor meinen Zeiten im ZDF-Sport hatte ich im ZDF die gesellschaftspolitische Talkshow „Doppelpunkt“ moderiert. Sie startete im gleichen Jahr wie das „Nachtcafé“. Und ich hatte beide Sendungen immer als Verbündete gesehen. Denn das Konzept war sehr ähnlich: Ein Thema pro Sendung, getragen vor allem von Nicht-Prominenten Gästen und mit Experten als Brücke zur Wissenschaft. Für mich war das Nachtcafé ein Neubeginn, aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ich habe deshalb nicht lange überlegt, Martin Müller, dem Redaktionsleiter, zuzusagen. Das Nachtcafé gibt es so nur einmal in Deutschland. Und mittlerweile sind wir mit diesem Format längst in den digitalen Zeiten angekommen. 

PreMedia:
Vom aufstrebenden Jung-Profi-Fußballer zum Grimme-Preis nominierten Talkshow-Moderator für Doppelpunkt über zwei Jahrzehnte nachhaltig prägender Moderation des Aktuellen Sport Studios im ZDF hin zur Moderation des SWR Nachtcafé. Welchen Rat haben Sie an junge Menschen, die ihrem Weg als einer der sympathischsten und etabliertesten deutsch-sprachigen Journalisten folgen möchte?

Dr. Michael Steinbrecher:
Ich glaube, Journalist ist man nur mit großer Leidenschaft oder es funktioniert überhaupt nicht. Eine Neugier auf Themen, eine Neugier auf Menschen, eine Offenheit dafür, dazuzulernen, eine Offenheit, Meinungen und unterschiedliche Lebensentwürfe beständig zu überprüfen, eigene Positionen neu zu justieren – all das macht diese Aufgabe so besonders wertvoll.
Und nicht zu vergessen: Als Journalist übernimmt man eine wichtige öffentliche Aufgabe. Die Menschen umfassend zu informieren, Kritik und Kontrolle auszuüben, durch Vielfalt im Journalismus zur Orientierung beizutragen. Wir sind die Mittler zwischen Politik und Bevölkerung. So sehr der Journalismus in der Kritik steht: Diese Aufgaben sind heute wichtiger denn je. Es ist mir bewusst, dass die Zeiten für den Journalismus nicht leicht sind, aber ich bleibe dabei: Es ist ein Traumberuf.
Gleichzeitig ist es ein Beruf im Wandel. Deshalb möchte ich mit der in Arbeit befindlichen Studie „Journalismus und Demokratie“ helfen, den Journalismus in der Gesellschaft kontinuierlich zu verorten. Wir befragen regelmäßig den Journalismus, die Politik und das Publikum nach Ihren Erwartungen an den Journalismus, aber auch nach Ihrer Kritik. So spüren wir auch auf, wo Erwartungen auseinandergehen und wo sich Kritik manifestiert. Und genau über diese Punkte möchten wir anschließend einen Dialog anstoßen. Es ist wichtig zu wissen, wie in dieser Gesellschaft in Zukunft die wichtigen Inhalte verhandelt werden, wer sich wo informiert und ob es gesellschaftlich gelingt, in einen gemeinsamen Diskurs über die wichtigen Themen zu kommen. 

PreMedia:
Die aktuelle Fußball-WM in Katar und die damit einhergehenden politischen Kontroversen um die Vergabepraxis der FIFA und die Verletzung fundamentale humanitärer Werte des Gastgebers zugunsten eines immer deutlicher werdenden Trends zur unbedingten Kommerzialisierung des Profi-Fußballs hat der Reputation des Sports großen Schaden zugefügt.Glauben Sie, dass der Profi-Fußball wieder aus dieser Sackgasse herauskommen kann?

Dr. Michael Steinbrecher:
Es ist in der Tat ein kritischer Punkt erreicht. Ich finde es erst einmal wichtig, dass in Deutschland entsprechend kritisch darüber berichtet wurde. Das ist gerade für die übertragenden Sender eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wegzuschauen, nur weil ich aus ökonomischen Gründen viele Zuschauerinnen und Zuschauer möchte, ist journalistisch nicht integer. 
Gleichzeitig ist es eine traurige Entwicklung. Wir sprechen ja bei einer Fußball-Weltmeisterschaft von einem der letzten TV-„Lagerfeuer“, um das sich in der Regel ein Großteil der Gesellschaft versammelt. Dass sich das Publikum in Deutschland diesmal in solch großer Zahl von einer Weltmeisterschaft abwendet und schlicht nicht mehr zuschaut, sollte den Verbänden und auch den Profi-Clubs eine Lehre sein. Wenn wir uns die Marktanteile dieser WM anschauen und mit denen früherer Weltmeisterschaften vergleichen, dann kommen wir zum Ergebnis: Sie sind ein Desaster für den Fußball. Sie sind der Beweis dafür, dass die Geduld der Fans ein Ende haben kann. 
Das ist hoffentlich ein Weckruf für all jene, die im Profi-Fußball Verantwortung tragen. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob dieser Weckruf angekommen ist.
Hoffnung besteht trotzdem. Denn mit der Europameisterschaft in anderthalb Jahren eröffnet sich eine große Chance, die Begeisterung für diesen Sport und die Nationalmannschaft in Deutschland wieder neu zu entfachen. Voraussetzung ist aber, dass sich der Sport nicht mehr wie ein Staat im Staate geriert und sich die internationalen Verbände endlich von ihren korrupten Strukturen befreien. 

PreMedia:
Die Medienlandschaft hat sich seit unserem letzten Interview im Jahr 2015 gravierend verändert. Kritischer Qualitäts-Journalismus als begleitende Kraft in einer atmenden Demokratie wird noch wichtiger. Welche Chancen bestehen für Zeitungen und Zeitschriften, diese Rolle in unserer Gesellschaft weiter auszubauen?

Dr. Michael Steinbrecher:
Auch bei diesen beiden Mediengattungen geht es mittelfristig vor allem darum, glaubwürdig zu bleiben. Wenn ich mit Chefredakteurinnen und Chefredakteuren von Verlagen rede, dann sehen sich diese immer wieder in einem Dilemma. Mit dem Verkauf der Zeitungen und entsprechenden Anzeigenerlösen allein können die Verlage sich nicht mehr finanzieren. Ganze Zielgruppen sind in den letzten Jahren weggebrochen. Deswegen sehen Viele den Ausweg im Online-Journalismus. Dort aber zählt vor allem Schnelligkeit. Und genau das wirft Fragen auf. Warum? 
Es gibt unterschiedliche Dimensionen von Qualität im Journalismus. Zum Beispiel Aktualität, Richtigkeit, Relevanz und eine angemessene Vermittlung unter Berücksichtigung ethischer Grundsätze. Aber wenn zum Beispiel die Schnelligkeit immer mehr mit der Richtigkeit in Konkurrenz gerät, wenn also nicht mehr richtig recherchiert wird, weil wir schnell mit Meldungen rausgehen müssen und der Leser immer häufiger bemerkt, dass das, was er liest, nicht stimmt, dann geht die Glaubwürdigkeit verloren.
Wenn ich dann auch noch immer häufiger Überschriften zuspitze, und die Leserinnen und Leser merken, dass diese Überschriften den Inhalt des Beitrags gar nicht treffen, dann geht erneut schleichend Glaubwürdigkeit verloren. 
Ich verstehe den Sachzwang, unter dem die Verantwortlichen stehen, zu 100%. Am Ende muss man ja die Menschen, die an dem Produkt mitwirken, bezahlen. Aber auf der anderen Seite: Wenn ich nur kurzfristig auf Zahlen und Klicks schaue, mittel- bis langfristig aber Glaubwürdigkeit verliere, dann hat der Journalismus ein ganz großes Problem. 

PreMedia:
Qualitäts-Journalismus funktioniert ja nur mit vom Medien-Konsumenten akzeptierten Bezahl-Modellen Dem steht beim Massen-Medienkonsum die Allmacht der gratis verfügbaren á la Google News und anderen Portalen gegenüber. Wird die bezahlte Zeitung oder die Zeitschrift zu einem Nischenprodukt werden?

Dr. Michael Steinbrecher:
Hr. Malik, Sie sprechen da etwas sehr Wichtiges an, das weit über den Journalismus hinausweist. Das Datenkapital, dass Google, aber auch andere Player wie Amazon, Apple und Microsoft angehäuft haben, führt nicht nur finanziell, sondern auch von den Möglichkeiten der Beeinflussung und Manipulation von Menschen zu einer Machtfülle, die wir uns in der gesellschaftlichen Breite immer noch nicht wirklich bewusst gemacht haben.
Die Politik reagiert – immerhin – und versucht, Regelungen zu schaffen, die digitale Welt etwas gerechter zu gestalten. Journalismus ist nur ein Teil dieser Gesamtentwicklung. Ich benutze nicht gerne Superlative, aber die sogenannte digitale Transformation ist eine Revolution, die alle Lebensbereiche betrifft. Es ist entscheidend, dass wir genau hinschauen, wie die global agierenden Konzerne sich verhalten und in welchen Gebieten sie ihre Macht ausbauen. Wenn Sie beschreiben, wo sich Google beispielsweise in der Zeitungswelt bereits engagiert, so wird dies nur der Anfang sein.
Wenn Sie sich beispielsweise anschauen, wie leicht es Amazon fällt, bei dem unglaublichen Finanzvolumen, das hinter dem Konzern steckt, Sport-Senderechte zu erwerben, dann erkennen wir schnell: Dieses Unternehmen könnte noch wesentlich offensiver agieren. Ich glaube, dass die genannten globalen Player ganz strategisch nur schrittweise ihre Position in diesem Bereich ausbauen. Wir sehen bisher nur die Spitze des Eisbergs. Umso wichtiger, dass wir wachsam sind, damit der unabhängige, redaktionelle Journalismus nicht – wie von Ihnen angesprochen – zu einem Nischenprodukt degradiert wird. 

PreMedia:
Die Sachlage ist in der täglichen Realität doch so, dass von reinen Online-Erlösen Qualitätsjournalismus nicht finanzierbar ist. Anders als in den USA kommen rund 85% der Erlöse bei den europäischen Zeitungs- und Zeitschriften-verlagen aus der Vermarktung der gedruckten Produkte Dramatische Papierpreis-Erhöhungen von über 150% innerhalb eines Jahres, politisch verordnete Mindestlohn-Erhöhungen in Deutschland bringen die Medienhäuser in eine dramatische wirtschaftliche Herausforderung. Wie kann aus Ihrer Sicht diese krisenhafte Situation bewältigt werden?

Dr. Michael Steinbrecher:
Wir als Institut für Journalistik in Dortmund haben dieses Thema aufgegriffen und schon vor geraumer Zeit aus Anlass dieser Krise einen offenen Brief an die Öffentlichkeit gerichtet, verbunden mit dem Appell, die Notwendigkeit einer vielfältigen, unabhängigen journalistischen Medienlandschaft für eine funktionierende Demokratie zu erkennen und entsprechend nach Lösungen zu suchen, wie diese Vielfalt auch erhalten werden kann. Denn sie ist ohne Zweifel in Gefahr. 
Die Resonanz war groß. Wir haben in der Folge immer wieder Menschen an einen Tisch gebracht, die in Politik, Wissenschaft und Medien Verantwortung tragen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Denn noch einmal: Der Journalismus erfüllt eine wichtige Aufgabe, mehr denn je. Und die Frage, wie der Journalismus diese Aufgabe ausfüllt, ist existenziell für diese Gesellschaft. 
Was man allerdings erkennt, ist, dass es die schnellen Lösungen nicht gibt. Man könnte sich beispielsweise vereinfacht fragen: Kann die Politik den Journalismus nicht finanziell unterstützen, damit er seine öffentliche Aufgabe weiterhin wahrnehmen kann? Da haben allerdings Verleger die berechtigte Sorge, dass in diesem Fall die Staatsferne als elementarer Bestandteil des Journalismus verloren gehen könnte. Das wäre fatal, denn die Unabhängigkeit ist für den Journalismus genauso existenziell wie die redaktionelle Vielfalt. Aber sie haben Recht: Gerade weil es die eine, einfache Lösung nicht gibt, müssen wir diesen Dialog dringend fortsetzen. 

PreMedia:
Beim britischen „The Guardian“,bei der „New York Times“ oder dem „Wall Street Journal“ bestehen heute weit über 1 Million zahlende digitale Abonnenten. Englisch als Weltsprache hilft wahrscheinlich dabei auch im internationalen Context. Geraten die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenmedien in eine Existenzkrise, wenn es nicht gelingt, digitale Bezahl-Angebote mit nachhaltiger Wirtschaftlichkeit anzubieten? Zum Beispiel eigene TV-Angebote?

Dr. Michael Steinbrecher:
Ich würde nicht so weit gehen, dass jeder Verlag über eine eigene TV-Station verfügen muss. Aber – Sie haben Recht -  wir sind längst im crossmedialen journalistischen Zeitalter angekommen. Das heißt, ein Verlag beschränkt sich nicht nur auf sein Printprodukt, sondern erschließt mehr und mehr auch weitere Einnahmequellen. Eine davon kann der Online-Journalismus sein. Online Journalismus bedeutet wie wir wissen nicht, die Artikel aus der Printausgabe in den Online-Auftritt zu übertragen. Es geht darum, ganz neu zu denken. Und selbstverständlicher Bestandteil des Online-Journalismus ist längst auch das Bewegtbild. 
Vor einigen Jahren haben sich unsere Studierenden noch für ein Medium entschieden und sich in der Ausbildung komplett darauf konzentriert. Das macht heute keinen Sinn mehr. Heute erwarten Verlage und Rundfunkanstalten, dass Journalistinnen und Journalisten fähig sind, in jedem Medium zu denken und zu arbeiten. Wir bilden
unsere Studierenden heute gleichermaßen in TV, Rundfunk, Print, Online und Social Media aus. Das Grundgerüst über alle Medienkanäle hinweg muss heute vorhanden sein. Jedes Medium hat seine eigenen Reize, seine eigenen Grenzen und Journalistinnen und Journalisten sollten sich in dieser crossmedialen Arbeitswelt handwerklich versiert bewegen können. 
Gleichzeitig – und das ist wichtig – sollen unsere Studierenden aber auch noch ihre besondere Leidenschaft für ein Medium ausleben können. Im Idealfall verfügen Sie über breite mediale Kenntnisse, die sie im Journalismus flexibel machen. Aber auch über ein persönliches handwerkliches und inhaltliches Profil  ist gefordert.

PreMedia:
Wie lange studieren die Studenten an der TU Dortmund?

Dr. Michael Steinbrecher:
Sie studieren beim Bachelor-Studiengang 8 Semester, anschließend kann ein zweisemestriges Master-Studium folgen. Das Besondere am „Dortmunder Modell“ ist ein einjähriges integriertes Volontariat. Das heißt, jeder unserer Studierenden erlebt als Bestandteil des Bachelor-Studiums auch die professionelle Praxis in einem Verlag oder einer Rundfunkanstalt. Parallel qualifizieren wir sie, wir sind ja an einer Universität, natürlich auch wissenschaftlich. Diese Integration von Theorie und Praxis macht den Studiengang seit seiner Gründung aus und wertvoll.

PreMedia:
Die tägliche Tageszeitung wird mit neuen Wegen gehen müssen. Bei der „New York Times“ beginnt mit interdisziplinären Arbeitsgruppen die tägliche Arbeit mit einem Data-Mining. Wie haben unsere zahlenden Kunden auf unsere Inhalte reagiert? Der Vortag wird detailliert aus-gewertet. Täglich. Der Redakteur, Medien-Designer, der IT-Specialist, die Werbe-Fachfrau, der Print-Produktionsmann arbeiten täglich im Team zusammen. Das Ziel: Täglich die Zeitung besser zu machen. Eine Begeisterung für die Sache. Neue Wege für den Qualitäts-Journalismus?

Dr. Michael Steinbrecher:
Die Begeisterung für die Sache, die Sie gerade genannt haben, ist wichtig. Das Gute ist, wenn ich unsere Studierenden sehe, dann spüre ich diese Begeisterung nach wie vor in hohem Maße. 
Was ich auch richtig finde: Wir müssen offen für neue Entwicklungen sein. Das ist ja das, was auch Sie von den Kolleginnen und Kollegen der New York Times als Erfahrung mitgenommen haben. An unserem Institut gibt es seit kurzem zusätzlich einen neuen Lehrstuhl für Daten-Journalismus. Meine Kollegin Christina Elmer, die den Lehrstuhl verantwortet, lehrt dort sowohl modernen Datenjournalismus, aber widmet sich auch der Frage, wie Daten im journalistischen Produktionsprozess genutzt werden. So, wie Sie es am Beispiel der New York Times beschrieben haben. 
Allerdings habe ich ein Problem damit, wenn die Datenanalyse des Vortags zum einzigen Maßstab für die Gestaltung journalistischer Produkte wird. Wenn wir den Leserinnen und Leser in der digitalen Welt nur noch individuell das anbieten, was sie in ihrem persönlichen Profil interessiert, dann entwickeln wir Echokammern, in denen abweichende Positionen nicht mehr auftauchen. Und wie reagieren wir als journalistisch Verantwortliche, wenn Userinnen und User kein Interesse an Auslandsberichterstattung haben? Klammern wir diese Themen dann einfach aus? Ich überspitze bewusst, denn dies ist sicher auch nicht die Strategie der New York Times. Aber konsequent 
weitergedacht stellen sich 
diese Fragen. Und wir sollten sie uns lieber früher statt später stellen. 

PreMedia:
Welchen Einfluss hat Big Data auf den Qualitäts-Journalismus und die Gesellschaft insgesamt?

Dr. Michael Steinbrecher:
In dem Buch, das Sie erwähnt haben, „Update - Warum die Daten-Revolution uns alle betrifft“, versuche ich mit meinem Ko-Autor Herrn Schumann, mögliche Auswirkungen dieser Daten-Revolution für diverse Lebensbereiche durchzuspielen.  Welchen Einfluss hat Big Data auf den Journalismus? Welchen Einfluss hat Big Data auf das Wohnen, auf die Arbeit, auf die Mobilität, den Verkehr, welchen Einfluss auf die Medizin? Und in allen Bereichen gibt es große Möglichkeiten, große Chancen, die auch nach Verheißung klingen. Auf der anderen Seite gibt es ebenso in allen Lebensbereichen dunkle Seiten. 
Das Grundprinzip dieses Buchs ist das, was wir auch Woche für Woche im „Nachtcafé“ praktizieren möchten: Wir sind dazu da, Themen, Lebensentwürfe in all ihren Varianten vorzustellen und zu hinterfragen. Aber wir möchten die Bewertung den Zuschauerinnen und Zuschauern überlassen. Der Journalismus hat nicht die Aufgabe, den Menschen vorzugeben, wie sie Dinge zu bewerten haben. Wir sind dazu da, ihnen die Grundlage für eine Bewertung so differenziert wie möglich zu liefern. 
Und zurück zur Digitalisierung: Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft fair aushandeln können, welchen Weg wir einschlagen. Dabei müssen wir aber schnell sein. Es muss sich in der Breite ein – wie ich es nenne – „Digitalbewusstsein“ bilden.  Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um ein Umweltbewusstsein zu entwickeln. Wenn wir uns in der Frage der Digitalisierung ähnlich viel Zeit lassen, werden weiter Fakten geschaffen und die Entscheidungen nicht mehr von uns getroffen, sondern von den großen Konzernen.

PreMedia: 
Hr. Prof. Dr. Steinbrecher, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit und das überaus wertvolle Gespräch.

Dr. Michael Steinbrecher: 
Hr. Malik, es hat mir Freude bereitet.

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